Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Gefahr
WHO-Studie und OECD-Bericht zu psychischen Belastungen bei Jugendlichen bestätigen die Erkenntnisse von Rat auf Draht. Die Organisation sieht dringend Handlungsbedarf, denn die Situation wird sich kurzfristig nicht entspannen.
Wien, am 14. März 2023. Psychische Erkrankungen und Belastungen bei Kindern und Jugendlichen haben in den letzten Jahren massiv zugenommen: Dies bestätigen nicht nur der kürzlich veröffentlichte OECD-Bericht sowie eine WHO-Studie zu diesem Thema, sondern auch die Erfahrungen der Notrufnummer 147 von Rat auf Draht (RaD). Im Jahr 2021 führte Rat auf Draht insgesamt (Telefon- und Onlineberatungen) 1.818 Beratungsgespräche zu psychischen Erkrankungen mit jugendlichen Anrufer*innen. Vor der Pandemie, im Jahr 2019, waren es 1.289 Beratungen, was einem Anstieg von 41,04 Prozent entspricht. 2022 beriet RaD insgesamt 2.195-mal zu dieser Thematik, ein weiterer Anstieg von 20,74 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Anfragen zur Überkategorie Gesundheit, unter welche auch psychische Erkrankungen fallen, steigerten sich von 4.708 Anfragen 2021 um 10,43 Prozent auf 5.199 Anfragen im Jahr 2022. Zum Vergleich: 2019 waren es 3.350 Beratungen.
Situation nach wie vor ernst
Die Gespräche mit Kindern und Jugendlichen zeigen: Trotz einer leichten Entspannung der Corona-Situation im Jahr 2022, sind die psychischen Belastungen für viele junge Menschen sehr groß. Dazu zählen: massive Angstzustände, Suizidgedanken, Schlafstörungen, autoaggressives Verhalten, Essstörungen, Panikattacken, mangelnde Zukunftsperspektiven und Einsamkeit. „Die möglichen negativen Auswirkungen auf die Bildung, und die körperliche sowie mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen durch die derzeitige Energiekrise und die damit verbundene Armutsgefährdung mancher Familien, sind hier noch gar nicht berücksichtigt“, erklärt Birgit Satke, Leiterin der Notrufnummer 147 von Rat auf Draht.
Längere, intensivere Gespräche
Um über Derartiges zu sprechen, braucht es Zeit. Daher hat sich auch die Dauer der Beratungsgespräche im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent verlängert. „Über ihre psychische Verfassung zu sprechen ist für die Hilfesuchenden oft nicht leicht und kostet große Überwindung. Daher sind solche Beratungsgespräche sehr komplex und dauern länger. Dafür nehmen wir uns auch die nötige Zeit“, so Satke.
Schriftliche Beratungskanäle werden wichtiger
Besonders die schriftlichen Beratungskanäle - Rat auf Draht bietet neben der klassischen Beratung per Telefon auch Online- und Chatberatung an - nehmen eine immer größere Rolle ein und stellen eine wichtige Ergänzung dar. „Manchen Kindern und Jugendlichen fällt es in einem Telefongespräch schwer, über ihre Ängste, Sorgen und Probleme zu reden. Unsere beiden schriftlichen Beratungskanäle ermöglichen es uns, auch diese jungen Menschen gut abzuholen. Die schriftliche Beratung ist noch niederschwelliger als ein Telefongespräch und erleichtert Jugendlichen dadurch unkompliziert, anonym und über jedes Endgerät Hilfe in Anspruch zu nehmen, gerade bei Themen wie psychischen Erkrankungen, Suizidgedanken, autoaggressivem Verhalten oder Essstörungen“, sagt Satke. Umso wichtiger sei dabei die langjährige und fundierte Expertise der Rat auf Draht Berater*innen, die in die in Krisensituationen rasch und kompetent reagieren und bei Bedarf weiterführende Maßnahmen in die Wege leiten können. Auch die von RaD kürzlich eingeführte Peerberatung, wo Jugendliche von Gleichaltrigen beraten werden, soll Jugendlichen dabei helfen, ihre Schwellenängste zu überwinden und sich Hilfe zu holen.
Mehr Therapieplätze für Kinder und Jugendliche
Die Kinder und Jugendlichen Österreichs senden jedenfalls deutliche Signale, die Handlungsbedarf erfordern: „Die Pandemie hat zwar das öffentliche Bewusstsein für mentale Gesundheit steigen lassen, nach wie vor werden aber psychische Erkrankungen und Suizidgedanken in der Gesellschaft als Tabuthemen behandelt. Krisen gehören zum Leben dazu, man muss sie aber nicht alleine durchstehen“, sagt Satke. Psychische Belastungen rechtzeitig zu erkennen, diese ernst zu nehmen und im Bedarfsfall professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. „Der Ausbau niederschwelliger Beratungsangebote wie jenem von Rat auf Draht wäre daher umso wichtiger, um bereits präventiv gegenzusteuern. Ebenso wären mehr und schneller verfügbare Therapieplätze für Kinder und Jugendliche dringend notwendig. Wenn sich Jugendliche schon überwinden, über ihre Ängste und Sorgen zu sprechen, sollten sie dann nicht drei Monate oder mehr auf weiterführende Therapiemöglichkeiten warten müssen“, so die Expertin.
Denn eine Verschnaufpause ist auf absehbare Zeit nicht in Sicht: „Die Auswirkungen des Krieges und der Corona-Pandemie werden noch deutlich spürbar sein und in manchen Bereichen erst in vollem Ausmaß sichtbar werden“, so Satke abschließend.
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