Eltern*teile mit psychischer Erkrankung
Ist dein Vater oder deine Mutter depressiv, süchtig oder schizophren? Wie kannst du damit umgehen, wenn Eltern*teile psychisch krank sind?
Es gibt viele verschiedene psychische Erkrankungen. Alle haben gemeinsam, dass sie die erkrankte Person beeinträchtigen. Es kann z.B. das Gefühlsleben, das Verhalten, die Wahrnehmung, das Denken bzw. die Beziehungsfähigkeit beeinträchtigt sein. Bei der Entstehung spielen psychische, soziale und genetische Ursachen mit. Es kann für erkrankte Personen schwierig sein, etwas zu verändern, bzw. braucht es dazu oft Unterstützung von außen.
Mama und/oder Papa ist/sind anders ...
Erkrankte Eltern(teile) verhalten sich manchmal unberechenbar oder unbeständig. Das ist dann oft schwierig zu verstehen und kann natürlich unsicher machen. Eine psychische Erkrankung ist nicht weniger belastend als eine andere Krankheit. Betroffene Eltern(teile) können auch mit der Elternrolle überfordert sein. Oft ist es dann so, dass man als Kind Aufgaben übernimmt, die eigentlich Elternsache sind.
Durch manche psychische Erkrankungen ist auch die Art Gefühle zu empfinden und auszudrücken beeinträchtigt. Für nahestehende Personen kann sich das so anfühlen, als würden sie weniger geliebt werden. Selbst wenn durch Gespräche klar wird, dass das nicht stimmt, ist es trotzdem nicht einfach damit umzugehen.
Tipp
Als Kind hast du immer ein Recht auf die Erfüllung deiner Bedürfnisse, das betrifft natürlich ebenso die emotionalen, ganz egal ob die/ein Eltern(teil) krank sind/ist oder nicht. Eine stabile Beziehung zu einem gesunden Erwachsenen ist daher wichtig. Das kann auch ein Verwandter sein, wenn es bei den Eltern nicht möglich ist.
Schamgefühle können entstehen
Viele schämen sich, wenn die/der Eltern(teil) eine psychische Erkrankung haben/hat. Das ist zwar eine ganz normale Reaktion, du musst dich dafür jedoch nicht schämen. Oft wird solange wie möglich versucht, die Erkrankung geheim zu halten und das Leben nach außen so zu leben, als wäre alles "normal". Nützlicher ist es allerdings, wenn man sich Unterstützung holt. Dadurch wird der Umgang mit der Krankheit weniger zu einem Tabu. Das ist meistens sehr erleichternd.
Tipp
Trau dich ruhig, darüber zu reden und dir Unterstützung zu holen! Psychische Erkrankungen sind genauso Krankheiten, wie körperliche (also zum Beispiel ein gebrochenes Bein) - sie sind also nichts, wofür man sich schämen muss!
Das Verhalten des Erkrankten kann Angst machen
Jede psychische Erkrankung hat eigene Symptome. Diese lassen das Verhalten der erkrankten Person womöglich komisch oder nicht alltäglich erscheinen. Unbekanntes bzw. Unverständliches kann Angst machen. Hol dir deswegen Infos zur Erkrankung und sprich mit Vertrauenspersonen über deine Ängste und Sorgen.
Tipp
Infos über die Erkrankung bekommst du bei verschiedenen Stellen.
- Beispielsweise bietet HPE Österreich Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter an (den Link zur Homepage findest du weiter unten).
- Es gibt sogenannte Angehörigengruppen, denen du dich anschließen und dir Infos holen kannst. Kontaktdaten dazu kannst du gerne bei uns am Telefon erfragen.
- Wenn Eltern(teile) in Behandlung sind, kannst du nach Absprache mit ihnen um ein Informationsgespräch mit dem Arzt/Psychotherapeuten bitten.
- Auch bei uns findest du jederzeit ein offenes Ohr und kannst dir Infos holen.
Vorsicht vor einer Rollenumkehr!
Erkrankte Eltern(teile) können oft die Aufgaben des Alltags nicht erledigen. Häufig kommt es dann dazu, dass man als Kind Tätigkeiten der Eltern übernimmt - die Rollen drehen sich quasi um. Wenn das passiert, kann es z.B. der Fall sein, dass man plötzlich einkaufen geht, kocht, den Haushalt meistert, die Erziehung der Geschwister übernimmt, diese zur Schule bringt und abholt, Hausaufgaben mit ihnen macht, schwierige Probleme alleine löst, um die Eltern nicht zu belasten, etc.
Es macht einen Unterschied, ob man manchmal ein paar Pflichten übernimmt oder dauerhaft eine zu große Verantwortung trägt. Die Kinder von psychisch Erkrankten wirken auf Außenstehende erwachsener als man es vom Alter her erwarten würde. Das ist deshalb so, weil sie früh eigenständig werden und eine Menge an Verantwortung tragen. Viele zeigen die starke Belastung nach außen nicht und versuchen den Eltern so wenig wie möglich zuzumuten. Sie sind dann z.B. besonders engagiert in der Schule. Manche beginnen bei zu hoher Belastung zu rebellieren.
Tipp
- Auch wenn Eltern(teile) erkrankt sind, hast du ein Recht auf dein Leben und eine Entwicklung in deinem Tempo - hol dir Unterstützung und gib Aufgaben an z.B. Verwandte ab, damit du wieder Zeit für dich hast!
- Wenn du bemerkst, dass du dich oder ein Freund sich extrem zurückzieh(s)t oder rebellier(s)t, sprich mit einer Vertrauensperson darüber. Vielleicht steckt eine massive Belastung dahinter.
Schuldgefühle, Wut und Traurigkeit?!
Da die unberechenbaren Verhaltensweisen schwer zu verstehen sind, suchen viele die Schuld dafür eventuell bei sich. Mögliche Erklärungen für sich selbst können Vorwürfe (z.B. "Ich war nicht brav genug") sein.
Die Erkrankung der/des Eltern(teiles) und die Veränderung dadurch macht nicht selten auch wütend. Obwohl es vollkommen verständlich ist, wütend darüber zu sein, löst diese Wut wiederum ein Schuldgefühl aus - nämlich dass man solche Gefühle den/dem Eltern(teil) gegenüber hat.
Traurigkeit über die Situation ist ebenso eine ganz verständliche und normale Reaktion. Zur Verarbeitung ist es wichtig, dass man diese Traurigkeit zulässt - schau, was für dich passend ist und dir guttut. Tipps dazu findest du im Link weiter unten.
Tipp
- Du bist NICHT schuld daran, dass es der erkrankten Person so geht. Psychische Erkrankungen sind genauso Krankheiten, wie körperliche - Schuldige gibt es hier nicht!
- Es ist verständlich und in Ordnung, wenn du mal wütend oder traurig bist. Gefühle haben immer einen Hintergrund - such dir jemanden, mit dem du darüber sprechen kannst. Wenn du gern Sport machst, kann das eine Möglichkeit sein, dir Luft zu machen.
Wie sieht es mit Freunden aus?
Manchmal kommt es vor, dass sich Kinder von psychisch erkrankten Eltern(teilen) von der Umwelt isolieren und dadurch zu Außenseitern werden. Es kann auch sein, dass Schulkollegen bzw. Freunde, die von der Erkrankung der/des Eltern(teiles) wissen, damit nicht umgehen können.
Loyalitätskonflikte können ebenso entstehen. Ein Beispiel dafür kann folgende Überlegung sein "Gehe ich mit meinen Freunden aus oder bleibe ich lieber zuhause und unterstütze meine Eltern?" Solche Loyalitätskonflikte sind sehr unangenehm, weil jede Alternative Nachteile mit sich bringt.
Tipp
- Trau dich und sprich ganz offen über die psychische Erkrankung der/des Eltern(teiles). Du kannst deinen Lehrer fragen, ob er dich dabei unterstützt. Wenn du magst, kannst du auch um eine Stunde bitten, in der die Klasse über psychische Erkrankungen sprechen kann.
- Trotz Erkrankung von Eltern(teilen) hast du ein Recht auf Freunde, Ausgehen, Hobbys, Freizeit und dergleichen - beziehe Verwandte oder andere Unterstützungsangebote mit ein, damit Aufgaben verteilt werden können.
Das Wesentliche im Überblick:
- Unberechenbare Verhaltensweisen können Angst machen - hol dir Infos über die Erkrankung, denn Unbekanntes macht noch mehr Angst!
- Du bist NICHT schuld daran, dass es der erkrankten Person so geht. Psychische Erkrankungen sind genauso Krankheiten, wie körperliche (also zum Beispiel ein gebrochenes Bein).
- Dass du möglicherweise Trauer oder Wut empfindest ist verständlich und gesund - such dir Leute, mit denen du darüber sprechen kannst.
- Übernimm nicht den ganzen Rucksack an Verantwortung, gib einen Großteil an Verwandte oder andere Personen ab - du musst das Leben deiner/s Eltern(teiles) nicht meistern!!
- Hol dir so viel Unterstützung wie möglich, sowohl in dem Sinne, dass es Leute gibt, mit denen du über die Belastung sprechen kannst als auch, dass du wirklich aktiv unterstützt wirst (dass z.B. jemand einkaufen geht, etc.).
- Vergiss nicht auf dich und deine Bedürfnisse - denn du bist wichtig!!
Tipp
Du bist wichtig
- Auch wenn es deinen/m Eltern(teil) schlecht geht, brauchst du kein schlechtes Gewissen haben, wenn du glücklich bist und einen schönen Tag verbringst. Gerade bei hohen Belastungen ist eine Auszeit, in der man Abstand hat und glücklich sein kann unglaublich wichtig.
- Es ist nicht deine Aufgabe, den kompletten Haushalt zu erledigen, deine Geschwister zu versorgen und obendrein noch zu kochen.
- Frage Angehörige um Hilfe, damit nicht alles auf dir lastet.
- Deine Bedürfnisse sind wichtig und haben Berechtigung, genauso wie deine Hobbys.
- Es gibt viele psychosoziale Beratungsstellen, die dir und deiner Familie Unterstützung anbieten (Links dazu findest du unten).
Tipp
Unterstützungsmöglichkeiten
- Sprich mit einer erwachsenen Vertrauensperson darüber, das können zum Beispiel andere Verwandte oder Lehrer sein. Natürlich findest du auch bei uns unter der kostenlosen Rufnummer 147 24 Stunden pro Tag, an 7 Tagen der Woche ein offenes Ohr. Es ist keine Schande, sich Unterstützung zu holen, ganz im Gegenteil, es ist ganz klar, dass diese Situation für dich belastend ist.
- HPE steht für "Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter" und hat Standorte in ganz Österreich. Den Link zur Homepage von HPE findest du unten.
- Beim BürgerInnenservice bekommst du österreichweit gebührenfrei und vertraulich Beratung und Infos zu allen Bereichen der Themen Pflegebedürftigkeit und Pflege. Anschließend findest du den Link für mehr Infos über das BürgerInnenservice sowie die Telefonnummer und Erreichbarkeit.
- Auch die für dich zuständige Kinder- und Jugendhilfe (früher Jugendamt genannt) ist eine mögliche Anlaufstelle - es ist nicht so, dass du Angst haben musst, automatisch von zu Hause wegzukommen, nur wenn du dich an die Kinder- und Jugendhilfe wendest. Du kannst bei uns am Telefon Kontaktdaten der für dich zuständigen Kinder- und Jugendhilfe erfragen.
- In Niederösterreich gibt es zusätzlich vom psychosozialen Dienst ein kostenloses Angebot: KIPKE bietet Beratung für Kinder psychisch kranker Eltern an. Den Link zur Homepage und zum Download eines Folders findest du unten.