Rat auf Draht und SOS-Kinderdorf schlagen Alarm: Psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen hoch!

SOS-Kinderdorf sieht dringenden Handlungsbedarf und fordert: niederschwellige Tele-Angebote ausweiten, kassenfinanzierte Therapieplätze schaffen und endlich für mehr Entlastung für die Familien sorgen

 

„Kinder und Jugendliche haben die letzten Monate als sehr belastend erlebt. Bei Rat auf Draht stehen seit Wochen die Telefone nicht mehr still“, sagt Birgit Satke, Leiterin von Rat auf Draht.

Die Helpline sei für viele die einzige Möglichkeit, rasch Hilfe zu bekommen, so Satke: „Viele Anruferinnen und Anrufer sagen, sie hätten sonst niemanden zum Reden.“

Die Beratungen unter der Notrufnummer 147 sind um mehr als ein Drittel angestiegen. Im Chat-Bereich – der ausgebaut wurde – stieg die Zahl der Beratungen um 82 Prozent.

„Wir beobachten eine besorgniserregende Entwicklung: Fragen zur psychischen und physischen Gesundheit sind im Themen-Ranking sehr weit oben, während klassische Teenager-Sorgen wie erste Liebe, Streit mit Freunden oder Taschengeld zusehends in den Hintergrund rücken“, so Satke.

So haben sich vor der Corona-Krise im Schnitt täglich 3 Jugendliche mit psychischen Erkrankungen gemeldet, derzeit sind es 8.

Birgit Satke hat, gemeinsam mit ihrem Team, die Anfragen bei Rat auf Draht im April nach Themenbereich aufgeschlüsselt und analysiert.  

 

DIE ERGEBNISSE IM DETAIL

 

  • ANGST: Plus ↑ 220 Prozent
  • SCHLAFPROBLEME: Plus ↑ 240 Prozent
  • ANFRAGEN ZU PSYCHISCHEN ERKRANKUNGEN wie Panikattacken, Depressionen, Borderline: Plus ↑ 146 Prozent
  • SUIZIDGEDANKEN: Plus ↑ 54 Prozent
  • AUTOAGGRESSION: Plus ↑ 54 Prozent.
  • PSYCHISCHE GEWALT IN DER FAMILIE: Plus ↑ 380 Prozent.
  • PHYSISCHE GEWALT IN DER FAMILIE: Plus ↑ 88 Prozent.
  • KONFLIKTE ZWISCHEN ELTERN, DIE KINDER BELASTEN: Plus ↑ 205 Prozent

(Vergleichszeitraum: April 2019)

 

Der Druck muss raus

„Wenn man sich vor Augen führt, dass bereits vor Corona 88 Prozent der Familien unter Druck waren, liegt es auf der Hand, dass die Situation für viele noch schwieriger geworden ist. Und auch der Bedarf an Unterstützung wird steigen“, sagt Katrin Grabner, Kinderrechtsexpertin bei SOS-Kinderdorf.

„Kinder, Jugendliche und ihre Familien zu entlasten muss nun oberste Priorität haben. Hier gilt es, die Regierung in die Verantwortung zu nehmen und etwa eine bessere Gesundheitsversorgung für Kinder und Jugendliche sowie entlastende Maßnahmen für Familien, die ja bereits im Regierungsprogramm festgeschrieben wurden, zügig umzusetzen und unter den gegebenen Umständen auch vorzuziehen“, so Grabner.

 

Tele-Therapie als Chance

„Die Erfahrungen der letzten Wochen in unseren Ambulatorien für Kinder- und Jugendpsychiatrie haben etwa gezeigt, dass telefonische Therapieformen bzw. Therapie mittels Videochat gerade von Jugendlichen sehr gut angenommen wurden. Hier sehen wir die Chance, einen unterversorgten Gesundheitsbereich rascher zu entlasten, insbesondere im ländlichen Raum. Dazu müssen diese Therapieformen aber auch zu abrechenbaren Kassenleistungen werden.“

Schon vor der Corona-Zeit fehlten in Österreich ca. 70.000 kassenfinanzierte Therapieplätze für Kinder und Jugendliche. In manchen Bundesländern gibt es keinen einzigen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit Kassenvertrag. „Diesem Engpass muss man dringend entgegenwirken und zusätzliche kassenfinanzierte Angebote schaffen.“

 

Kinderarmut bekämpfen

Grabner weist aber auch auf bekannte kinderpolitische Baustellen hin, die sich in der Corona-Krise noch verschärft hätten: „Diese Krise hat Ungleichheiten weiter verschärft. Kinder aus armutsgefährdeten Familien sind zusätzlich unter Druck geraten.

Viele Kinder und Jugendliche machen sich Sorgen über die berufliche Situation ihrer Eltern. Es zeigt sich einmal mehr, dass Kinderarmut immer noch einer der größten Risikofaktoren für die Gesundheit von Kindern ist.“

 

Unterstützungssysteme und Präventionsangebote

Damit Familien mit den zusätzlichen Belastungen nicht allein gelassen werden und Kinder gesund aufwachsen können, bräuchte es mehr als kurzfristige finanzielle Entlastung, so die Expertin.

„Die Regierung muss dringend ihren Versprechungen nachkommen und langfristig dafür sorgen, dass sich der Druck auf Familien reduziert. Unterstützungssysteme wie die Schule und die Kinder- und Jugendhilfe müssen dazu mit den notwendigen Mitteln ausgestatten werden, um Problemlagen rechtzeitig entgegenwirken zu können. Außerdem braucht es dringend mehr Investitionen in Präventivmaßnahmen, wie etwa den Ausbau der Frühen Hilfen oder Elternbildungsangebote im Rahmen eines neuen Eltern-Kind-Passes.“


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