Schwul, hetero, bi oder pan - der Druck zu wissen, was man ist
Privates Umfeld und Gesellschaft setzen Jugendliche, was ihre sexuelle Orientierung betrifft, stark unter Druck. Rat auf Draht ortet Handlungsbedarf
Wien, am 15. Juni 2023. Jugendliche stehen, was ihre sexuelle Orientierung betrifft, oft unter enormem Druck, wie die Gespräche, die auf der Notrufnummer 147 von Rat auf Draht eingehen, zeigen. „Viele Jugendliche haben das Gefühl, sie müssen unbedingt jetzt wissen, ob sie schwul, lesbisch, hetero, pan- oder bisexuell sind und sind der Meinung, dass sich das auch das ganze Leben nicht mehr ändern darf“, sagt Birgit Satke, Leiterin der Notrufnummer 147. Das erzeugt bei den Anrufer*innen enormen Stress, der sich auch auf die psychische Verfassung und körperliche Gesundheit auswirken kann. Die Gründe für diesen Druck sind vielfältig: Zum einen kommt er von den Jugendlichen selbst, weil sie sich unsicher fühlen und die Einordnung in eine bestimmte Gruppe Sicherheit bringt. Zum anderen wirken auch das private Umfeld (Eltern, etc.) sowie die Gesellschaft mit veralteten Wertehaltungen auf sie ein. „Viele fühlen sich durch die Erwartungshaltung der Eltern unter Druck gesetzt, da diese oft das klischeehafte Bild vertreten, dass ihre Kinder heiraten, eine Familie gründen und Kinder bekommen sollen, weil sie sich Enkelkinder wünschen. Das setzt den Jugendlichen natürlich zu“, so Satke.
Es ist okay, nicht zu wissen, was man ist
Die Expert*innen von Rat auf Draht versuchen den Jugendlichen in den Beratungsgesprächen genau diesen Druck zu nehmen. „Wir erklären ihnen, dass es auch möglich ist, seine sexuelle Orientierung im Laufe seines Lebens zu ändern. Wir empfehlen ihnen, nichts zu überstürzen und sich bei der Findung ihrer sexuellen Orientierung Zeit zu nehmen, bis sie sich sicher sind, was sie tatsächlich wollen. Außerdem raten wir ihnen, sich nicht von den Eltern oder anderen Personen beeinflussen oder unter Druck setzen zu lassen“, so Satke.
Tipps zum Outing, Ängste & Co.
Bis Ende Mai wurden heuer bereits 125 Beratungsgespräche rein zum Thema sexuelle Orientierung geführt. Dies entspricht 25 Gesprächen pro Monat und somit einer leichten Steigerung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (23 pro Monat). Neben dem Druck, sich festzulegen, holen sich Jugendliche auch Rat für das Outing gegenüber den Eltern, der Familie oder dem Freundeskreis sowie zu diversen Ängsten, die damit verbunden sind (Angst bloßgestellt, ausgegrenzt, verspottet, beschimpft und nicht akzeptiert zu werden; Angst vor körperlicher Gewalt, wenn man sich outet; Angst vor der Reaktion der Eltern, etc.). Auch rechtliche Auskünfte werden eingeholt. „Viele Jugendliche empfinden zudem einen hohen Leidensdruck, nicht so akzeptiert zu werden, wie sich das wünschen würden, wenn sie sich outen und hegen Zweifel, ob ihre sexuelle Orientierung die richtige ist“, sagt Satke.
Jugendliche fühlen sich nicht akzeptiert
Was die Akzeptanz von sexuellen Orientierungen betrifft, so zeigt sich in den letzten Jahren in den Gesprächen mit den Jugendlichen nicht wirklich eine merkbare Veränderung. „Der Druck auf Jugendlichen bei diesem Thema ist nach wie vor sehr hoch. Die Pubertät ist für alle jungen Menschen eine Zeit des Umbruchs und sehr herausfordernd, ganz besonders aber für LGBTQI+ Jugendliche. Sie sehen sich oft mit Ausgrenzung und Diskriminierung konfrontiert, haben massive Ängste und leiden unter psychischen Belastungen und Vulnerabilitäten“, erklärt Satke, die Handlungsbedarf auf verschiedensten Ebenen ortet.
Dringender Handlungsbedarf
So bedarf es eines Ausbaus niederschwelliger Beratungs- und Informationsangebote wie jenem von Rat auf Draht und einer Schaffung von Rahmenbedingungen, die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität verhindern und umfassend bekämpfen. „Es muss ein allgemeines Umdenken in der Gesellschaft stattfinden und ein Klima der Wertschätzung für Vielfalt geschaffen werden. Das bedeutet: Mehr Unterstützung seitens der Eltern, der Familie und der Gesellschaft, sowie die Sicherheit für Jugendliche, so akzeptiert und respektiert zu werden, wie sie sind und ihre sexuelle Orientierung so leben zu können, wie sie möchten“, so Satke abschließend.
Tipps für Kinder und Jugendliche zum Thema sexuelle Orientierung finden sich hier, zu Homosexualität hier sowie zu Transidentität hier.
Tipps für Eltern, wie sie ihr Kind beim Outing unterstützen können, finden sich hier.
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